Predigt: Johannes 18,19‑24


PFARRER i.R. MATTHIAS KRIESER



Zur rechten Zeit reden, zur rechten Zeit schweigen


Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Hinterher weiß man oft besser, was man hätte tun sollen. Kennt ihr das auch? Da hat man ge­schwiegen, wo man besser hätte reden sollen. Und da hat man etwas gesagt, wo man besser hätte schweigen sollen. Aber eine versäumte Gelegenheit lässt sich nicht wieder­holen, und unbedachte Worte lassen sich nicht wieder zurück­holen. Wenn wir falsch geschwiegen und falsch geredet haben, dann können wir das nur in die Beichte bringen und Gott um Vergebung bitten. Aber, Gott sei Lob und Dank, mit dieser Vergebung dürfen wir rechnen. Denn Jesus hat ja auch für unser unbedachtes Reden und Schweigen gelitten. Und er hat dabei selbst gezeigt, was es heißt, zur rechten Zeit zu reden und zur rechten Zeit zu schweigen.

In der Nacht, als Jesus verraten und fest­genommen wurde, brachte man ihn zunächst zum Palast des Hohen­priesters. Genau genommen residierten zwei Hohe­priester in diesem Palast: Der alte Hohe­priester im Ruhestand mit Namen Hannas sowie der amtierende Hohe­priester Kaiphas, ein Schwieger­sohn des Hannas. Zunächst wurde Jesus zu Hannas gebracht für ein Vorverhör; erst danach erfolgte das Verhör durch Kaiphas vor dem ver­sammelten Hohen Rat, dem siebzig­köpfigen sogenannten Synhedrion, dem obersten Gremium des Judentums zur Zeit Jesu.

Der Abschnitt den wir hier betrachten, handelt vom Vorverhör durch Hannas. Hannas fragte Jesus nach seinen Jüngern und nach seiner Lehre. Jesus hätte jetzt einen großen Auftritt haben können. Er hätte eine gewaltige Predigt über Gottes Reich halten können. Er hätte einprägsame Gleichnisse erzählen können. Er hätte aus den Heiligen Schriften der Juden, dem Alten Testament, nachweisen können, dass er und kein anderer der ver­sprochene Messias ist. Er hätte den alten Hannas mit flammenden Worten zur Buße rufen können. Und er hätte ihm in herrlichen Farben Gottes Barmherzig­keit vor Augen malen können. All das tat Jesus nicht. Er sagte nur: „Ich habe frei und offen vor aller Welt geredet. Ich habe allezeit gelehrt in der Synagoge und im Tempel, wo alle Juden zusammen­kommen, und habe nichts im Verborgenen geredet. Was fragst du mich? Frage die, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe. Siehe, sie wissen, was ich gesagt habe.“ Jesus gibt dem Hannas damit zu verstehen: Du könntest schon längst wissen, was ich gepredigt habe. Viele wissen es; ich habe ja nie ein Geheimnis daraus gemacht. Viele könnten dir wieder­geben, was ich gelehrt habe. Ich selbst will es jetzt nicht noch einmal sagen; ich will mich jetzt nicht für meine Lehre recht­fertigen; ich will davon schweigen und so die ungerechten Anklagen ertragen, die hier gegen mich vorgebracht werden. Auch wenn Jesus dem Hohen­priester antwortete, schwieg er doch eigentlich in Bezug auf dessen Frage und verzichtete darauf, sich mit seiner Lehre zu ver­teidigen. Er tat es, weil er wusste: Jetzt ist die Zeit zum Schweigen gekommen – die Zeit, falsche An­schuldi­gungen einfach zu ertragen und sich nicht dafür zu recht­fertigen. Das gehört ja zur Passion dazu, zum Leiden Jesu um unsert­willen: dass er sich ohne Widerrede unschuldig verklagen ließ. Damit hat er erfüllt, was Jesaja von ihm geweissagt hat: „Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlacht­bank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.“ (Jes. 53,7)

Mir fällt es schwer zu schweigen, wenn ich falsch beschuldigt werde. Ich spüre dann immer den inneren Drang, mich wortreich zu recht­fertigen, und diese Worte sind oft nicht sehr freundlich. Von Jesus will ich lernen, dass es Situationen gibt, wo es besser ist, zu schweigen. Wo ich ruhig mal einen falschen Verdacht auf mir sitzen lassen kann. Wo ich demütig ertragen sollte, dass andere einen falschen Eindruck von mir haben. Es ist immer dann geboten, wenn es um höhere Werte geht, um friedliches Ein­vernehmen zu Beispiel, oder darum, einem anderen zu helfen. So war es ja bei Jesus gewesen.

Die Antwort Jesu kam beim Personal des Hannas nicht gut an. Ein Knecht meinte, Jesus wolle mit dieser Antwort den ehrwürdigen Senior-Hohen­priester missachten, und gab ihm eine Ohrfeige. Wir könnten nun vermuten, dass Jesus auch die ohne Widerrede eingesteckt hat. Das hat er aber nicht. Vielmehr sagte er zu dem Knecht: „Habe ich übel geredet, so beweise, dass es böse ist; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?“ Über diese Antwort ist in der Geschichte der Bibel­auslegung viel spekuliert worden. Hatte Jesus nicht seinen Jüngern einst geboten in der Berg­predigt: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dann biete die andere auch dar“? (Matth. 5,39). Hätte Jesus selbst dem Knecht des Hohen­priesters dann nicht schweigend die andere Backe hinhalten müssen, statt ihn zu ermahnen? Martin Luther geht in seiner Auslegung auf diese Frage ein. Dabei weist er darauf hin, dass Jesus eigentlich nicht nur die andere Backe, sondern seinen ganzen Leib hingehalten hat denen, die ihn schlugen und folterten. Die Frage „Was schlägst du mich?“ aber liegt auf einer anderen Ebene. Jesus gibt mit dieser Antwort eigentlich ein Zeugnis. Er macht dem Knecht und allen Umstehenden deutlich: Es ist gut und richtig, dass ich öffentlich gepredigt habe, denn mein Evangelium ist keine finstere Geheim­lehre. Und es ist gut und richtig, dass ich den Frage­steller jetzt an die verweise, die mich gehört haben, denn dann kann er zugleich auch beurteilen, was bei den Menschen von dieser Lehre angekommen ist. Jesu Antwort an Hannas mag überheblich klingen, aber sie ist es keineswegs. Es ist vielmehr ein klares und gerad­liniges Zeugnis für die Offenheit seiner Lehre und für deren Frucht bei den Zuhörern. Jesus geht es hier nicht um sich selbst und seine eigene Ehre, sondern darum, dass das Evangelium nicht in ein falsches Licht gerät. Nur aus diesem Grund steckt er die Ohrfeige nicht schweigend ein, sondern weist in feiner Weise, nämlich mit einer Frage, darauf hin, was es mit seinem Evangelium auf sich hat: „Habe ich recht geredet, was schlägst du mich?“

Wenn es um Gottes Evangelium geht, dürfen wir nicht schweigen – auch nicht aus falscher Demut oder falscher Bescheiden­heit. Wenn es um Gottes Evangelium geht, dann müssen wir offen bekennen, was gut und richtig ist. Das Licht, das Christus bei uns angezündet hat mit seiner Liebe, sollen wir nicht unter einem Eimer verstecken, sondern wir sollen es auf einen Leuchte erhöhen, damit es recht viele sehen. Immer wenn es um Gottes Liebe geht, um Gottes Ehre oder auch um die Ehre unserer Mit­menschen, ist reden und geboten und schweigen verkehrt. Auch das will ich von meinem Herrn Jesus Christus lernen.

Ja, lasst uns Gott bitten, dass wir durch das Beispiel unseres Herrn und durch den Heiligen Geist lernen, zur rechten Zeit zu reden und zur rechten Zeit zu schweigen. Und wenn es Zeit ist zu reden, dann lasst uns auch darauf vertrauen, dass der Heilige Geist uns die rechten Worte schenkt: klare und offene, aber auch liebevolle und sanftmütige Worte – Worte, wie sie aus dem Mund unsers Herrn gekommen sind. Amen.


Quelle: www.predigtkasten.de

 

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