Predigt: Lukas 22,7-21


PFARRER i.R. HELMUT POPPE
(nach einer Vorlage bearbeitet)



Passionspredigt - Abendmahlsbild - Leonardo da Vinci (Link zum Gemälde)
Text: Lukas 22,7-21


Liebe Passions-Gemeinde!

Die Geschichten, wie die Verleugnung durch Petrus, die Einsamkeit Jesu in Gethsemane und der Verrat durch Judas gehen uns unter die Haut, genauso werden wir bewegt von der Botschaft des Leidens und Sterbens Jesu für uns. - Alles andere wäre zu wenig! Es gibt auch ähnliche Geschichte von Menschen, die sind nicht minder bewegend!

Der Maler Leonardo da Vinci hatte den Auftrag bekommen, das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern darzustellen.

Es sollte ein großes Wandbild im Speisesaal eines Klosters werden. Einige Jahre hatte er schon daran gearbeitet. Die Mönche des Klosters stellten sich bereitwillig zur Verfügung, dass Leonardo den Jüngern ihre Gesichter gab. Nur für zwei Köpfe hatte der Meister - verständlicherweise - keine Vorbilder unter den Klosterbrüdern gefunden: Für Jesus und Judas.

Da waren also auf dem sonst fertigen Gemälde an zwei Stellen weiße Flecke! Für Jesus Modell zu sitzen, verbot den Mönchen die Bescheidenheit und der geistliche Anstand. Und für Judas ... Für den gab sich schon gar keiner her! Also machte sich der Maler außerhalb des Klosters auf die Suche. Ohne ein Modell konnte er nicht auskommen. Wochenlang streifte er durch die Straßen und die Parke der Stadt. Hunderte von Gesichtern prüfte er mit dem Blick des Künstlers. Wo waren die feinen Züge des Jesus? Wer strahlte die Liebe und Wärme aus, die der Meister "seinem" Christus verleihen wollte? Eines Tages wollte sich Leonardo auf die andere Seite des Flusses übersetzen lassen, der die Stadt durchschnitt. Als er in der Fähre saß, die ihn hinüberbringen sollte, fiel sein Auge auf den Fährmann. Ein wunderschöner Jüngling mit ebenmäßigem Gesicht. Mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen trieb er das Boot an. Er schien ganz erfüllt vom Frieden einer in sich gefestigten Persönlichkeit. Es war etwas um ihn her, das sprach von Tiefe des Charakters und der Zuneigung zu allen Menschen. Der Künstler hatte seinen Jesus gefunden. Der junge Mann willigte auch ein, dem Meister Modell zu sitzen. Als der Christus des Bildes vollendet war, waren Maler und Auftraggeber höchst zufrieden mit der Wahl. Der Jüngling erhielt seinen Lohn und zog seiner Wege.

Nun fehlte nur noch der Kopf des Judas. Er sollte die Bosheit des Verrats in seinem Gesicht spiegeln, die Verschlagenheit eines Mannes, der seinen Freund ausliefert. Leonardo aber fand keinen, der dem entsprochen hätte. Es vergingen 2 Jahre, in denen Leonardo immer weiter auf der Suche war. Ohne Erfolg. Eines Abends flog in unmittelbarer Nähe des Meisters eine Tür auf und ein Betrunkener wurde von harten Händen hinausgestoßen. Es war eine finstere Spelunke, in der man diesem Trunkenbold offenbar kein weiteres Glas füllen wollte. Leonardo sprang hinzu, half dem Gestrauchelten auf, der kehrte ihm sein Gesicht zu - und der Meister erkannte in einem Augenblick: Das war Judas! Ein ganzes elendes Schicksal stand in diesen Augen! Das war Judas. In den nächsten paar Tagen malte der Meister sein Modell.

Er bezahlte ihn in flüssiger Währung. Am achten Tag, der Meister war gerade dabei das Porträts zu vollenden, fiel der trübe Blick des unglücklichen Mannes auf das Gesicht des Jesus auf dem Wandbild. Im Nu ging eine Veränderung mit ihm vor: In seinen Augen blitzte ein Erkennen auf; er sprang auf, der ganze Mensch schien bis ins Innerste getroffen. In einer Aufwallung des Gemüts, schrie er auf, raufte sich die Haare und rannte aus dem Kloster. Nachforschungen ergaben: Der so heruntergekommene Mann hatte früher einen Beruf ausgeübt und ein ganz normales Leben geführt. Widrige Umstände, der Tod der Frau, der Verlust der Arbeit und der damit verbundene gesellschaftliche Abstieg hatten ihn an den Alkohol und in die Gosse gebracht. Ein Schankwirt wusste: Er wäre Fährmann gewesen. - Der Christus des Wandbildes hatte dem Judas sein eigenes früheres Gesicht gezeigt. In einem Jahrzehnt war aus "Jesus" "Judas" geworden.

Liebe Gemeinde, eine wahre Geschichte. Ich glaube, jeder versteht jetzt, dass einen dieser Gedanke stark beschäftigt: Wie kann ein Mensch sich so verwandeln? Wie können aus den edlen Zügen des "Jesus" die Verschlagenheit und der Verrat eines "Judas" herausblicken? Die Geschichte lässt uns hier im Stich. Sie verschweigt uns, welches der stärkste Einfluss war, der den Mann auf den Weg nach unten gebracht hat. Vielleicht waren es viele Schicksalsschläge gemeinsam? Wie viel erträgt ein Mensch, bis er aufgibt und es ihn in die Gosse treibt? - Mich bewegt an dieser Geschichte eigentlich am meisten, dass es möglich ist. Es kann geschehen! Ein makelloser Mensch kann durch die Ungunst des Geschickes in Sünde und Verzweiflung geraten. Ein Mensch, den wir für die Güte selbst halten, kann durch ein allzu schweres Schicksal böse und ungerecht werden. Wir fragen jetzt vielleicht, wo denn die Passion, das Leiden und Sterben Jesu sind in diesen Gedanken. - Für wen ist denn Christus am Kreuz gestorben? ‚Für alle Menschen!‘ werden wir antworten, wie sich das gehört. Wir denken doch aber damit meist weniger an uns, vielmehr an die "Bösen", die mit dem verkehrten Lebenswandel, Menschen, die halt wirklich sind wie Judas, die falschen Leute, die anderen ... Und selbst jene, die es oft im Munde führen: ‚Christus ist für mich gestorben!‘ meinen meist: "Für mich, als ich noch Sünder war, für mich, als ich noch nichts von Vergebung wusste." Diese Geschichte könnte uns etwas anderes sagen: Auch in mir ist Judas. Auch ich bin des Herrn Verräter! Ich könnte es sein! Darum: Für mich, wirklich für mich und meine Schuld und Bosheit muss dieser Herr ans Kreuz! Und selbst wenn ich heute der beste Mensch wäre - es ist noch nicht ausgemacht, wer ich vielleicht schon bald sein werde! Bin ich auch an diesem Abend noch an der Hand meines Herrn, so kann ich ihn doch morgen schon ans Kreuz bringen. Was dahin führt, ist vielleicht ein Geschick, das mir zu schwer ist zum Tragen. Es ist leicht, gut zu sein, wenn man im Glück ist. Es ist dasselbe Herz, dass heute Liebe verschenkt und morgen hasst. Noch einmal: Für wen ist Christus gestorben? - Für alle Menschen! Für dich und mich. Für die Guten und die Bösen. Für die, die wir heute sind und die, die wir schon morgen sein können. Christus ist für die Schuld der Menschen ans Kreuz gegangen. Sie wohnt in jedem Menschen - ohne Ausnahme. Sie kann heute schon sichtbar und wirksam sein. Sie kann morgen - durch den Weg, den ich geführt werde - ans Licht kommen. Darum: Auch ich habe den Herrn ans Kreuz gebracht!

Liebe Gemeinde, manche mögen denken: Das ist aber sehr extrem. “Vom Jesus zum Judas …“ Aber auch ein Petrus ist ja vom treuesten Jünger zu einem Verleugner seines Herrn geworden! Der Keim des Bösen ist in uns allen. Darum ist Christus für uns alle gestorben! Und nicht nur so, wie wir das in unseren frommen Reden und in unserer gottesdienstlichen Liturgie sagen. Nein, buchstäblich: Für uns gestorben, wegen unserer Schuld, unserer Sünde, unserer Bosheit, unserer Verleugnung, unserem Verrat. Darum haben wir auch alle die Vergebung nötig. Aber einen tröstlichen Gedanken wollen wir zum Schluss auch noch sagen, wir finden, es ist der tröstlichste Gedanke überhaupt: Durch Leiden und Sterben für uns, durch das Opfer Jesu Christi am Kreuz ist jetzt auch das andere möglich: Noch der schlechteste Mensch kann durch Jesu Tod Vergebung erlangen und recht werden vor Gott. Selbst wenn er Petrus oder gar Judas wäre! Das ist die schönste und wichtigste Botschaft der Welt. Amen

 

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