Predigt: Markus 14,17-31


PROPST GERT KELTER



Markus 14,17-31

Und am Abend kam [Jesus] mit den Zwölfen. 18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. 19 Da wurden sie traurig und sagten zu ihm, einer nach dem andern: Bin ich's? 20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. 21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. 22 Und als sie aßen, nahm er das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. 23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes. 26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.
27 Und Jesus sprach zu ihnen: Ihr werdet alle Ärgernis nehmen; denn es steht geschrieben (Sacharja 13,7): »Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen.« 28 Wenn ich aber auferstanden bin, will ich vor euch hingehen nach Galiläa. 29 Petrus aber sagte zu ihm: Wenn auch alle Ärgernis nehmen, so doch ich nicht! 30 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe denn der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. 31 Er aber redete noch weiter: Auch wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen! Das Gleiche sagten sie alle.



Der Verräter am Tisch des Herrn – eine schwer nachvollziehbare Vorstellung und doch die Realität von Anfang an.

Wer nicht einstimmen kann in das Bekenntnis der Kirche zur Gegenwart des Leibes und Blutes Christi unter Brot und Wein, wer in offener Sünde lebt oder keiner Kirche angehört, mit der wir Kirchengemeinschaft festgestellt haben, soll nicht den Leib und das Blut Christi empfangen. Diese Zulassungsordnung hat seine guten Gründe, lässt sich historisch und durchaus auch theologisch verstehen und erklären. Die Verantwortung für die einsetzungsgemäße Verwaltung des Altarsakraments ist eine hohe Verpflichtung und bedingt eine unmittelbare Verantwortung des zuständigen Hirten gegenüber Christus, dem Herrn des Sakramentes, selbst. Falsch verstandene Toleranz, nachlässige Laxheit, theologische Unterbelichtung oder theologische Interesselosigkeit sind darum nicht verantwortlich.

Und doch müssen wir dieses Bild vor Augen behalten: Jesus und die Jünger am Abendmahlstisch und mitten unter ihnen, nein – einer von ihnen ist Judas. Und ein anderer, nicht minder ein Verräter, ist Petrus.

Jesus, wahrer Mensch und wahrer Gott, seiner Gottheit nach allmächtig und allwissend, lässt es geschehen. Ja – Jesus sagt es sogar ganz unmissverständlich: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. Und jeder der Apostel rechnet ganz tief innen damit, dass er es sein könnte. Nein, das ist nicht ausgeschlossen, dass ich es bin, den Jesus meint.

Die Apostel, Lehrlinge in der Lehre ihres Meisters, haben in den Jahren ihres gemeinsamen Lebens noch längst nicht alles, aber doch schon eines verstanden: Die Abgründe der Verworfenheit lauern nicht zunächst im anderen, sondern in mir selbst. Jesus ist nicht für die Gesunden gekommen, die keinen Arzt brauchen, sondern für die Kranken. Er ist nicht gekommen, um unsere Lebensverhältnisse zu verbessern oder den Menschen eine Weisheitslehre zu bringen, die sie mit innerem Frieden erfüllt, sondern er ist gekommen, dass er die Werke des Teufels zerstöre.

In der Lehre Jesu haben sie gelernt, nicht selbstgerecht und pharisäisch die anderen für erlösungsbedürftig zu halten, sondern zuerst sich selbst zutiefst als erlösungsbedürftig zu erkennen.

Dieser Blick bewahrt davor, hartherzig, ungerecht und unbarmherzig zu werden. Er hilft dazu, den anderen in seiner Situation zu verstehen, seine Beweggründe ernst zu nehmen, sich zu fragen, wie man selbst in vergleichbarer Lage geworden wäre, gehandelt hätte. Dieser Blick ist der barmherzige Blick Gottes, der uns, der mich mit unverdienter Gnade und Barmherzigkeit beschenkt hat, damit ich nicht in meinen Sünden umkomme, sondern lebe.

Sich mit Judas zu identifizieren, ihn zu verstehen, das wird eine Überforderung sein. Judas bleibt eine dunkle, letzten Endes unerklärliche Gestalt. Judas ist wohl einer der Zeloten gewesen, also einer von denen, die die römische Besatzung mit Gewalt aus dem Land Israel vertreiben wollten, die einen jüdischen Gottesstaat errichten wollten und dafür auf einen politischen und eben auch militärischen Messias hofften. Judas wird seine ganzen Erwartungen auf Jesus gerichtet haben und zunehmend darin enttäuscht worden sein. Und wie das oft bei Menschen so ist, das gilt auch in so mancher freundschaftlicher oder partnerschaftlicher Beziehung – da ist die große Liebe des Anfangs erst in Enttäuschung und dann in Hass umgeschlagen.

Judas hatte wohl wirklich endgültig die Seiten gewechselt, hatte sich von Jesus innerlich losgesagt und war zum Teufel gegangen. Es wäre besser für ihn gewesen, er wäre ein liebevoller Gedanke Gottes geblieben und nie geboren worden. Aber zwischen Gott und dem Teufel gibt es keinen neutralen Raum. Und Judas hatte seine Wahl getroffen.

Aber Petrus? Mit dem kann ich mich, und nicht nur an dieser Stelle, durchaus identifizieren. „Und wenn alle Ärgernis nehmen, so doch ich nicht!“
Auch für mich haben schon so manche Hähne das Urteil gekräht.

Und doch sitzt Petrus mit Jesus am Abendmahlstisch. Und doch wird der auferstandene Christus zu Petrus sagen: Wenn du dich einmal bekehrst, dann stärke deine Brüder. Dich setze ich als den ein, der meine Lämmer weiden soll. Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben.

Man würde sich täuschen, wenn man meinte, Jesus gibt Petrus noch eine weitere oder noch eine letzte Chance damit, um sich dann doch noch endlich zu bewähren. Das ist das Prinzip des Pädagogen, der seinen Schülern einige Fehler gestattet, aber dann irgendwann eine abschließende Zensur erteilt, hinter die es kein Zurück gibt.

Bei Jesus gilt ein anderes Prinzip: Der, der sein Scheitern erlebt, der sein Versagen und seine Unfähigkeit schmerzhaft gespürt hat, aus eigener Kraft und Vernunft etwas zu erreichen und im Reich Gottes zuwege zu bringen, der, der begriffen hat, dass er ohne mich nichts tun kann, der so tief gefallen ist, dass er nun alles von mir erwartet und erbittet und erhofft, der ist geeignet für den Dienst in meiner Nachfolge. Und nur der.

Der muss immer wieder an meinen Tisch, um sich von mir füttern und tränken, stärken und aufrichten zu lassen. Und der gehört auch dahin. Der hat nicht nur eine letzte Chance, sondern dem schenke ich Leben in Fülle, ein Leben schon in dieser Zeit und Welt, aus der Fülle der täglichen Reue und Buße, aus der Fülle der Vergebung, des täglichen Neubeginns.

Solche Leute sind barmherzig mit ihren Mitmenschen, aber weisen den rechten Weg ohne Wenn und Aber. Sie sind mitleidend mit den Schwächen anderer, aber kehren nichts unter den Teppich. Sie halten unbedingt fest an den heilsamen Geboten Gottes, aber führen die, die daran scheitern, nicht zum Scheiterhaufen, sondern auf die grünen Auen des guten Hirten, damit sie durch das frische Wasser der Versöhnung weiterleben können. Amen.


Lasst uns beten:
Allmächtiger Gott, barmherziger Vater, halte uns in dieser heiligen Zeit den Spiegel vor, dass wir erkennen, wie wir ohne dich nichts und mit dir alles sind. Hilf uns, unbarmherzig mit uns selbst ins Gericht zu gehen und uns deiner Barmherzigkeit anzuvertrauen. Schenke uns deinen heiligen Geist des Friedens und der Liebe, dass wir in deiner Nachfolge denken, reden und tun, was deiner Ehre und dem Bau deiner Kirche dient. Das bitten wir durch Jesus Christus, unsern Herrn, deinen Sohn. Amen.

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