Predigt Karfreitag: Hebräer 9,15.26b-28


PROF. DR. CHRISTOPH BARNBROCK
Gottesdienst am Karfreitag 2018 in Steeden und Aumenau



„Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, auf dass durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen. Nun aber, am Ende der Zeiten, ist er ein für alle Mal erschienen, um durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal erscheint er nicht der Sünde wegen, sondern zur Rettung derer, die ihn erwarten.“
(Hebräer 9,15.26b-28)



Liebe Gemeinde!

I.
Marianne ist gerade einmal etwas über 50. Ihre Woche ist klar strukturiert. Montag, Mittwoch und Freitag sind die feststehenden Tage. Dann kommt das Taxi und bringt sie zur Dialyse, zur Blutwäsche. Ihre Nieren funktionieren einfach nicht mehr. Und damit können die Schadstoffe nicht mehr aus dem Blut gefiltert werden. Ohne Dialyse wäre ein Weiterleben nicht mehr möglich.

„Es ist ja ganz schön, dass das heute geht“, sagt sie. „In früheren Zeiten wäre ich längst schon mausetot gewesen. Aber ein unbeschwertes Leben ist das nicht mehr. Immer diese festen Termine. Kaum mehr die Möglichkeit, von zu Hause wegzukommen. Mein ganzes Leben kreist um die Dialyse, um meine Krankheit.“

Grundsätzlich etwas ändern würde nur eine Nierentransplantation. „Ja, das wäre meine Rettung!“, sagt Marianne und setzt gleich hinzu: „Aber wer macht so etwas? Als gesunder Mensch einer kranken Frau ein Organ schenken. Wer weiß, ob man es nicht selber noch mal braucht. Das Opfer ist dann für viele doch zu groß!“

II.
Wir verlassen Marianne für eine Weile und wechseln über in den Tempel von Jerusalem, den der Verfasser des Hebräerbriefs vor Augen hat. Tag für Tag wurde hier geopfert. Zu ganz unterschiedlichen Anlässen und zu unterschiedlichen Zwecken. Aber immer wieder ging es dabei auch um die Sünde und ihre Überwindung.

Das Fehlverhalten und der Unglaube des Volkes mussten immer wieder durch Opfer gesühnt werden. Sonst würde das Volk an seiner Sünde sterben. Dabei war das ein Kreislauf, der niemals zu einem Ende kam. Immer wieder wurden die Menschen ja schuldig. Immer wieder, ganz regelmäßig wurden solche Opfer nötig, um die Sünden aus der Welt zu schaffen.

Da ging es dem Volk Israel wie Marianne und ihrer Dialyse. Wie schön, dass es diese Opfer gab, mit denen Schuld gesühnt werden konnte. Aber eine echte Lösung des Problems war das nicht. Immer und immer wieder waren Opfer nötig.

III.
Und genau hier setzt nun der Hebräerbrief ein und sagt: Das hat sich mit Jesus Christus geändert. Der hat nicht nur eine Therapie bereitgestellt, dass wir heute und morgen und übermorgen leben können. Sondern der hat das Problem der Sünde aus der Welt geschafft – und zwar ein für alle Mal!

Wie bei Marianne war es dafür notwendig, dass sich ein Gesunder für die Kranken geopfert hat. Er hat sein Leben gegeben, damit wir leben können.

Wenn jemand einem Familienangehörigen eine Niere spendet, dann wird dies in den Medien – zurecht – als besondere Tat gewürdigt. Schließlich gibt ja einer dem anderen ein Organ ab, das er selbst noch braucht.

Jesu Lebensspende reicht noch viel weiter. Er gibt nicht nur eine Niere ab, sondern gibt sich selbst auf und ab, damit wir leben können. Und damit ist die Sünde ein für alle Mal aus der Welt geschafft. Wir müssen nicht immer wieder an die Sündenreinigungsmaschine, sondern es hat tatsächlich schon ein neues Leben begonnen.

IV.
Nun magst du fragen: Aber warum gibt es dann noch die Beichte? Was anderes ist das Heilige Abendmahl als ein Ort, an dem wir von der Sünde gereinigt werden? Ist das alles nicht doch so etwas wie eine Dialyse-Maschine für Christen, mit der wir dann auch als Sünder so halbwegs über die Runden kommen?

Nein, das ist es eben nicht. Mit Jesu Tod am Kreuz sind unsere Sünden nicht bloß therapiert, dass wir damit leben können. Sondern die Krankheit ist besiegt. Wir sind nicht mehr abhängig von den Apparaten, die uns ein wenig mehr Leben schenken. Sondern wir sind wieder heil geworden. Ganz.

Und in der Beichte und im Heiligen Abendmahl bekommen wird eben nicht bloß unser Leben gereinigt, damit es dann wieder für zwei, drei Tage geht, bevor wir wieder an die Maschine müssen. Sondern in der Beichte und im Heiligen Abendmahl bekommen wir die lebensnotwendigen Organspenden: So etwas wie eine neue Niere, ein neues Herz nennt es die Bibel. Jesu Leib bekommen wir geschenkt, den wir tauschen dürfen gegen unseren kranken Leib, über den die Sünde herrscht. Und so gehen wir von der Beichte und vom Heiligen Abendmahl nicht bloß in ein gereinigtes, sondern in ein komplett neues Leben. Das ist unsere Rettung!

V.
Nun gibt es noch einen Aspekt im Predigtwort, der uns vielleicht aufhorchen lässt. Dass es nämlich dem Menschen bestimmt ist, nach seinem Tod vor Gottes Gericht zu treten.

Vor Gericht geladen zu werden, ist ja nicht unbedingt etwas, wonach wir uns drängen. Am liebsten kommen wir um so etwas herum. Andererseits wissen wir, dass ein funktionierendes Gerichtswesen ein Segen für einen Staat ist.

Es ist gut, wenn Meinungsverschiedenheiten objektiv beurteilt werden, wenn Unrecht bestraft und Recht gesprochen wird.

Und so ist es auch gut, dass unser Leben nicht einfach ausklingt – egal, wie es gewesen ist, sondern dass am Ende Gottes Recht steht und er im Gericht die Dinge zurechtbringt.

VI.
Dieses Gericht gleicht einer Abschlussuntersuchung bei einem Menschen mit chronischen Nierenleiden, der die Chance hatte, eine neue Niere implantiert zu bekommen. Wer erfolgreich eine neue Niere eingesetzt bekommen hat, der hört in dieser Abschlussuntersuchung: „Herzlichen Glückwunsch! Es ist alles gut geworden. Ein neues Leben wartet auf sie. Keine Dialyse mehr. Keine festen Termine mehr am Montag, Mittwoch und Freitag. Sie können reisen und sich frei bewegen. Genießen Sie es!“

So hört es der Christenmensch, dem ein neues Herz, dem der Leib und das Blut Christi geschenkt sind. Die Krankheit der Sünde ist nicht nur aufgehalten, sondern ein neues Leben hat begonnen.

Nun mag es aber auch Menschen geben, die blind sind für ihre Krankheit, die es einfach nicht wahrhaben wollen. Da ist eine Spenderniere gefunden. Es könnte alles wieder gut werden. Aber sie weigern sich: „Warum denn ich? Mir geht’s doch gut! Ich brauche so etwas nicht.“

Einem solchen Menschen könnte der Arzt in der Abschlussuntersuchung nicht sagen: „Alles ist gut!“ Sondern der Zustand bleibt kritisch – am Ende sogar lebensgefährlich!

Und so ist es auch im Gericht Gottes, auf das wir alle zugehen. Wer das Leben, das Christus gespendet hat, zurückweist, bleibt krank, in Sünde gefangen. Da ist nichts mit Gesundwerden. Sondern die Krankheit schreitet fort. Und die Zeit läuft weg.

VII.
Marianne hat schließlich einen Nierenspender gefunden. Ihre Cousine hat ihr eine Niere zur Verfügung gestellt. Jetzt genießt sie ihr neues Leben. Sie unternimmt mit ihrer Cousine Reisen. Und den Tag der Nierentransplantation hat sie sich in ihrem Kalender als zweiten Geburtstag eingetragen.

Wir haben mit Jesus Christus unseren Lebensspender gefunden. Er hat uns sein Leben zur Verfügung gestellt. Und nun können wir ein neues Leben unternehmen. Wir können unterwegs sein mit unserem Herrn Jesus Christus, mit ihm die ganz unterschiedlichen Phasen unseres Lebens erleben. Und mit ihm kommen wir in das Land des ewigen Lebens, das wir noch nicht kennen, von dem wir aber schon so viel Gutes gehört haben.

Und den Tag der Lebensspende Jesu, den sollten auch wir uns in den Kalender eintragen. Es ist unser zweiter Geburtstag. Es ist der Karfreitag. Heute.

Amen.

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