Johannes 12, 24 | Foto-Predigt


PFARRER MICHAEL SCHÄTZEL



Christus spricht: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.


Mais, liebe Gemeinde, wird bei uns für gewöhnlich als Gemüsemais aus der Dose gebraucht: Aus dem Supermarkt wandert es in unseren heimischen Küchen auf die Pizza oder in den Salat. Manche lieben auch gegrillte Maiskolben, lecker mit Butter bestrichen – eine Delikatesse. Überwiegend findet Mais in unserem Land allerdings als Viehfutter Verwendung.

Mais ist ein Getreide aus der Familie der Süßgräser, das ursprünglich aus Mexiko stammt. Heute gibt es rund 50.000 verschiedene Maissorten. Was sich noch nicht herumgesprochen hat: Mais ist die Pflanze mit dem größten Energiepotential und dem der größten Ausbeutung an Biomasse. Mais ist die einzige Pflanze, die das Potential hat, das Erdöl abzulösen.

Kruzifix von MuaSoweit erst einmal. Und jetzt das Foto. Es zeigt eine Schnitzerei aus dem südostafrikanischen Staat Malawi, die das „Kruzifix von Mua“ genannt wird. Das Kreuz steht, etwa einen Meter hoch, im Raum der Stille im Missionsseminar in Hermannsburg. Dort hat es unser Bischof höchstpersönlich fotografiert.

Malawi ist ein christlich geprägtes Land. 73 % der Malawier sind Christen, davon mit 55 % überwiegend evangelische. Die Bibel steht bereits seit mehr als hundert Jahren in den Landessprachen zur Verfügung und ist nahezu in jedem christlichen Haushalt zu finden. Die afrikanische Holzkünstler hat seiner Schnitzerei das Bibelwort zu Grunde gelegt, das uns als Wochenspruch durch die eben zu Ende gegangene Lätare-Woche begleitet hat: Johannes 12, Vers 24: Christus spricht: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Aber: Weizen gibt es in Malawi nicht. Also musste für die bildliche Umsetzung Ersatz her. Der war in dem Grundnahrungsmittel der Malawier schnell gefunden: Mais! Und so keimt da am Boden der Skulptur ein Maiskorn auf. Christus stirbt wie ein Maiskorn. Das Weizen- oder eben auch das Maiskorn ist ein Beispiel, ein Beispiel für das eigentlich Beispiellose: ein Unschuldiger stirbt für die Schuldigen und erwirkt deren Freispruch: Der eine lässt sein Leben, damit die andern es haben.

Christus selbst spricht von diesem Beispiellosen im Bild, um in den Ankündigung seines Sterbens deutlich zu machen, dass sein Leidensweg ein „Muss“ ist. Um Gottes Menschenliebe zum Ziel kommen zu lassen, den Menschen Gnade vor Recht zu ermöglichen, muss der Gottessohn zum Opfer werden: Vielleicht nutzt Jesus, um seinen Jüngern eine Brücke zu bauen, seinen Weg als ein „Muss“ zu erkennen. Denn zu verstehen ist das nicht: Nach menschlichem Denken hätte Gott doch ganz andere Wege erdenken können, Erlösung zu ermöglichen. Indem er aber das bekannte Bild nutzt, führt Jesus seine Leute hin zu dem „Muss“ der bekannter Abläufe, die im Alltag nicht weiter hinterfragt werden: Das Weizenkorn muss sterben. Erst darin kommt es zur Erfüllung und kann die Frucht bringen, die zu bringen seine Bestimmung ist.

Die Schnitzerei aus Malawi zeigt in direkter Verbindung zum Wurzelwerk des Maiskorns den in sich zusammenfallenden, im Vergleich zum Gesamtwerk kleinen, schmalen Christuskörper. Die Stacheln auf seinem Kopf sind kaum eine Krone, sondern scheinen eher unbeholfen brutal aufgebracht, um gezielt zu verwunden. Das Leid in seinem schlimmen Ausmaß wird im Detail deutlich. Rechts und links fließen je drei Bluttropfen: In einer der Ganzheit symbolisierenden Zahlen wird deutlich: Ganz und gar hat sich Christus gegeben, bis auf den letzten Tropfen sein Leben hergeschenkt – für uns!
Das Weizen-, das Maiskorn erstirbt. Es „muss“ sterben, um seiner Bestimmung gerecht zu werden. Frucht soll es bringen, Leben. Und wie es das tut: Ein ansehnliches Wurzelwerk erhebt sich über dem Korn und darüber wächst eine starke Maispflanze. Mächtig erstreckt es sich nach oben, wo die riesigen Blätter und Maiskolben den Querbalken des Kreuzes bilden: So sieht das in Malawi aus, wenn etwas viel Frucht bringt.

Auf dem Hintergrund dieses neuen Lebens, das aus dem sterbenden Maiskorn erwächst, ragt eine zweite, weit größere Figur empor: groß, das Gesicht triumphierend nach oben gestreckt, die Arme – eben noch in der zusammenfallenden Bewegung nach unten, jetzt gerade entgegengesetzt kraftvoll nach oben gerichtet. Das fruchtschwere Blätter-Maiskolben-Werk unterstreicht noch die Arme und Hände, die segnen. Der Auferstandene wächst aus dem Erstorbenen hervor. Das Beispiellose wird hier an der Maispflanze im Bild anschaulich gemacht. Das Wunder des Lebens einer Maispflanze dient als Vergleich für das Wunder ewigen Auferstehungslebens, das sich an Jesus Christus erstmals ereignet. Dahin führt der Weg! Alles strotz von Leben, von Leben, das weitergegeben werden soll.

Viele kleine Durchbrüche in der emporgewachsenen Maispflanze sind wie Fenster für das Licht des Ostermorgens. Da ist das Sterben Christi zum Ziel gekommen: Der Tod konnte ihn nicht halten, nun hat das Auferstehen in ihm seinen Anfang genommen. Der Tod ist besiegt!
Im Abendmahlsgebet, das ab dem heutigen Judika der weiteren Passionszeit zugeordnet ist, heißt es: „Und wie der Tod durch Adams Ungehorsam am Baum des Paradieses den Anfang genommen, so ist am Holz des Fluches das Leben wieder entsprossen durch deines Sohnes Gehorsam.“ Auch in unserer Kultur gibt es solch Lebenskreuze: im Dom zu Schwerin, im Doberaner Münster zum Beispiel kann man Kreuze sehen, aus denen Blätter wie frisches Grün wachsen. Das Leben bricht sich Bahn am Kreuz.

Das hat der malawische Künstler ins Bild gesetzt: Zum Sterben gehört das neue Leben, zum Gekreuzigten der Auferstandene.

Wir sind, liebe Gemeinde, durch unsere Taufe in dieses Geschehen hineingenommen. Paulus hat das im Römerbrief beschrieben, dass wir durch die Taufe mit Christus begraben werden in den Tod, damit wir mit ihm auferstehen und in einem neuen Leben wandeln. Und Martin Luther hat es dann aufgegriffen, als er im Kleinen Katechismus erklärte, dass Leben aus der Taufe bedeutet, immer wieder neu den „alten Menschen“ untergehen und den neuen auferstehen zu lassen. Wie im Wasser der Taufe das Alte untergeht und wir aus diesem Wasser „wie neugeboren“ hervorgehen, so bekommt unser Leben in Christus die Perspektive des Lebens: Seither ist klar, dass unser Leben, in dem wir nun zu Christus, dem Auferstandenen gehören, wie seines nicht im Tod bleiben, sondern in neuem Leben enden wird. „Ich lebe und ihr sollt auch leben“, so sagt er doch. Und darauf ist Verlass. Und das gilt eben schon jetzt. Im Sterben keimt neues Leben, auch da, wo uns durch Leiderfahrungen, durch Kummer, Enttäuschung, Angst, Schmerz die Lebensqualität dahinstirbt, sorgt er für uns, dass wir nicht auf der strecke bleiben und überleben. Wo wir selbst dabei sind, unser Leben vor ihm zu verpfuschen, ermöglicht er uns durch seine Gnade neues Aufatmen. So wie Mais eine Energiepflanze ist, von der man, sie habe das Potential, Erdöl zu ersetzen, so ist Jesus Christus unsere Lebenskraftquelle, die Energie unseres Leben vor wie nach dem Tod.

Bleiben noch zwei Beobachtungen. Die eine: Wir finden in der Schnitzerei das Evangelium „inkulturiert“, eingeboren in die Welt Malawis. Selbstverständlich sehen die Figuren aus wie Chewa-Männer, Einheimische. Christus wird den Malawiern ein Malawier. In der Kunst ist zulässig, was im übertragenen Sinn sowieso gilt: So nahe ist Christus den Menschen gekommen, so nah umgibt er uns Tag für Tag, dass er nicht der Fremde bleibt, sondern der, der uns ganz nahe ist, der uns Bruder und Freund ist, um und Kraftquelle und Lebensgarantie zu sein. Alles dürfen wir ihm teilen, ihm alles anvertrauen, alles Gute von ihm erwarten.

Und das andere: Wenn man weiß, dass die Malawier ihr Land „das warme Herz Afrikas“ nennen, dann liegt die Vemutung nahe, dass auch das Herz, in das der Karfreitagsjesus versinkt und aus dem der Osterchristus aufersteht, für das Land steht, für Malawi: Das „Für uns“ des Leidens und Sterbens und Auferstehens wird darin überdeutlich in Anspruch genommen. Und wir dürfen das genauso glauben, denn das Herz ist am Ende das Zentrum des Geschehens: Auf Gottes herzlichem Erbarmen fußt das ganze Leidens- und Auferstehenswerk: „Das hat er alles uns getan, / sein groß Lieb zu zeigen an, / Des freu sich alle Christenheit / und dank ihm des in Ewigkeit. Kyrieleis.“ Amen.


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